C. Fester

Heute in Verantwortung beim Handelsriesen Lidl: Christian Fester
Bildquelle: C. Fester

Unsere Preisträger:innen entdecken häufig schon früh in ihrer Laufbahn ihre Leidenschaft und Begeisterung für den Handel. Nicht selten bleiben sie der Branche treu – ob in der wissenschaftlichen Forschung oder in der Handelspraxis. Immer wieder berichten wir deshalb auch über die Werdegänge ehemaliger Preisträger:innen. Im Interview erzählt dieses Mal Christian Fester über die Herausforderungen in seiner Funktion als Bereichsleiter Disposition beim Handelsriesen Lidl.

Sie haben 2009 den Wissenschaftspreis gewonnen und seitdem eine steile Karriere bei Lidl hingelegt. Zuletzt haben Sie bei uns im Interview 2017 berichtet. Was hat sich seitdem bei Ihnen verändert?

Das Interview 2017 hat in einer für mich sehr spannenden Zeit stattgefunden, da ich nebenberuflich meinen Master im Bereich Digital Pioneering abschließen und wissenschaftliches Arbeiten im Rahmen des Studiums sowie der Masterarbeit im Handelsumfeld vertiefen konnte.

Kurze Zeit später hatte ich die Verantwortung für die Dispositionsprozesse und -systeme in unseren etwa 12.000 Filialen in über 30 Ländern übernommen und entwickle diese mit meinem wachsenden Bereich im internationalen Umfeld stetig weiter.

Bei unserem letzten Interview haben Sie Themen wie Data Science und Machine Learning angeschnitten. Welche Themen und Projekte haben Sie aktuell auf Ihrer Agenda? Womit beschäftigen Sie sich?

Das aus meiner Sicht vermutlich größte Potenzial liegt aktuell tatsächlich im Bereich Data Science und Machine Learning. Der Handel beschäftigt sich dabei seit mehreren Jahren insbesondere mit KI-gestützten Absatzprognosen. Die Erwartungen sind hier groß, jedoch steckt das Thema allgemein noch in den Kinderschuhen.

Neben den Absatzprognosen identifizieren die Händler ebenfalls den Optimierungsbedarf beim Filialbestand der Artikel. Bislang zu undurchsichtig sind die Gründe für Fehlartikel sowie Fraud. Zu groß ist das bislang unausgeschöpfte Potenzial aus den vorhandenen Daten die Ursachen für Bestandabweichungen zu erkennen und idealerweise direkt präventive Maßnahmen daraus abzuleiten.
Durch den intelligenten Einsatz von Daten gilt es hier Vollinventuren mit hohem zeitlichen Arbeitsaufwand und Fehlerpotenzial immer seltener durchführen zu müssen und trotzdem gleichzeitig einen täglichen und zuverlässigen Überblick über die Bestandssituation zu erhalten. Die Inventur wird dabei sozusagen immer mehr virtuell durchgeführt und im besten Fall kann auf eine unterjährige physische Zählung von Artikeln komplett verzichtet werden.

Was ist aus Ihrer Sicht besonders wichtig?

Kurz und knackig? IT-Kompetenzen und Data Science auch in den Fachbereichen zu etablieren!

In den großen Handelsunternehmen sind bereits eine Vielzahl von Kompetenzen und Instrumenten insbesondere auch im Umgang mit Daten vorhanden. Aus meiner persönlichen Erfahrung sehe ich die Herausforderung diese im Rahmen einer ganzheitlichen Unternehmensstrategie optimal nutzen zu können.

Gerade zu Beginn der Entwicklung von datenbasierten Lösungsansätzen für Problemstellungen innerhalb der einzelnen Fachbereiche könnte es sich als zielführender herausstellen entsprechende Kompetenzen im Verständnis und Umgang mit Daten und IT im Fachbereich zu etablieren, anstatt beispielsweise ausschließlich weitere organisatorische Bereiche aufzubauen und mit den entsprechenden Zielstellungen vollumfänglich zu betrauen.

Als besonders wichtig nehme ich hierbei die Unabhängigkeit der Projektteams von externen Ressourcen gerade in der Pilotierungsphase wahr. Im besten Fall berichten die Projektmitarbeiter:innen an dieselbe Führungskraft, um dem Arbeiten an unterschiedlichen Zielstellungen und Geschwindigkeitsverlust aufgrund notwendigem Wissenstransfer vorzubeugen.

Die Parallelisierung des Erarbeitens individueller, speziell ausgerichteter Lösungsansätze im Kleinen innerhalb der Fachbereiche (Pilotierungen) und der Vervielfältigung zu einsatzbereiten Lösungsansätzen im Großen durch die IT-Bereiche (Industrialisierungen) kann meinem Empfinden nach ein Gamechanger für die angestrebte Effizienz innerhalb eines Handelsunternehmens sein.

Haben Sie noch engeren Kontakt zur Wissenschaft/Forschung?

Wenn der Tag mehr als 24 Stunden hätte, würde ich mich sofort an meine Promotion wagen. Nach dem erfolgreich abgeschlossenen Masterstudium habe ich mich direkt mit den Möglichkeiten einer weiteren nebenberuflichen Betätigung im akademischen Umfeld beschäftigt. Am Ehrgeiz und Interesse tiefer in die Forschung verbunden mit dem Handel einzutauchen, mangelt es nicht. Auch wenn die vorhandene Zeit leider limitiert ist, suche ich nach einem Weg dem nebenberuflichen Doktoranden-Dasein zeitnah gerechter werden zu können.

Dass der Handel weiterhin akademisiert werden sollte, vertrete ich stark in meinem Arbeitsumfeld. Im entfernteren Rahmen habe ich weiterhin Bezug zur Wissenschaft und Forschung, indem ich mich dafür eingesetzt habe, zusammen mit dem HR-Bereich den dualen Studiengang „Business Engineering“ in meinem Bereich anbieten zu können mit dem man insbesondere die Schwerpunkte BWL, Informatik, Aufbau von Organisationen sowie Innovationsmanagement kombiniert.

Wir beschäftigen uns seit 2 Jahren beim Wissenschaftspreis zunehmend mit Startups. Diese bringen jede Menge frischen Wind in die Handelslandschaft. Wie schätzen Sie die Entwicklung und Förderung von Innovationen innerhalb eines großen Konzerns wie Lidl ein – was ist nötig, wo gibt es Verbesserungspotenzial?

Wenn man einen Konzern sowie ein Startup gegenüberstellt, treffen mutmaßlich zwei Welten aufeinander. Diese sollten nicht isoliert voneinander, sondern symbiotisch ausgerichtet werden. Ich nehme dabei zunehmend die Entwicklung und Förderung von Innovationen wahr.

Einzelne Startup-Strukturen bestehen auch innerhalb größerer Konzerne schon wie bspw. in Form von REWE Digital und Lidl Digital. Ferner gedacht könnte man diese Strukturen noch weiter aufbrechen und jede einzelne Organisationseinheit, jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter als potenzielles Startup innerhalb des Konzerns werten. Warum nicht die Leidenschaft, das innovative „Um-die-Ecke-Denken“, das individuelle Potenzial spartenübergreifend innerhalb eines großen Konzerns würdigen und nutzbarer machen? Dieser Ansatz könnte meiner Meinung nach im Rahmen einer Dissertation näher ausgearbeitet werden, was wiederum den umfangreichen Bedarf von Wissenschaft im Handel unterstreicht.